21 Apr Schutz kann auch zum Alptraum werden: alte Menschen und Corona
Schutz älterer Menschen bedeutet: Abstand – und zwar viel mehr Abstand, als es für andere empfohlen wird. Mehr Abstand bedeutet auch: mehr Einsamkeit.
Aber ist Einsamkeit nicht schon immer einer der Faktoren gewesen, die alte Menschen früher haben sterben lassen? War es nicht schon immer so, dass alleinlebende ältere Menschen in tristen Novembertagen, wenn sie das Haus nicht mehr verlassen konnten, reihenweise dahingerafft wurden?
Alte Menschen – wobei man „alt“ in vorsintflutlicher Weise bereits bei 70 beginnen lässt, um bei dieser Gelegenheit auch ein Stereotyp klar beim Namen zu nennen!!! – sollen möglichst nicht aus dem Haus gehen, Kinder und Enkel sollen sie nicht besuchen, für Altenheime gibt es sogar ein explizites Besuchsverbot.
All die nährenden Begegnungen und Gesten, die das Leben alter Menschen lebenswert machen – vor allem jener Menschen, die in Altenheimen leben – fallen weg, Einsamkeit wird untermauert. Wie lang soll die Isolation gehen? Einen Monat? Zwei Monate? Drei? Noch länger? Vor Kurzem erst wurde darüber debattiert, ob man nicht auch nach Lockerung der Beschränkungen diese für die Älteren eine Zeitlang weiterhin beibehalten sollte.
Irgendwie scheint man vergessen zu haben, dass Menschen nicht nur an Krankheiten des Körpers sterben, sondern auch an Isolation und Depression, ja sogar an Angst. Schutz kann so, unter bestimmten Umständen, auch zum Alptraum werden.
Eine Frau beschrieb vor Kurzem in den social media die Situation ihrer Mutter: „Die aktuelle Situation in den Pflegeheimen ist nicht zu ertragen. Leider ist meine Mutter gestern ein Opfer des Kontaktverbotes geworden.
Sie litt seit längerem unter Demenz. Mein Vater kam täglich, um sie zu füttern und mit ihr rauszufahren, um ihr
zu zeigen, dass er da ist und sich um sie kümmert. Das plötzliche Wegfallen dieses Kontaktes konnte sie nicht verstehen, und sie verfiel in eine 2-wöchige tiefe Trauer, in der sie nichts mehr essen wollte und immer schwächer wurde. 1x durfte ER sie letzte Woche sehen, als die Pflegerinnen sahen, dass der Sterbeprozess eingetreten ist. Gestern kam dann der Anruf, dass sie verstorben sei. Alleingelassen, ohne Abschieds- möglichkeiten.“
Es gab bereits einzelne Angehörige, die in ihrer Verzweiflung gegen das Besuchsverbot geklagt haben – und verloren haben, weil die Richter der Meinung waren, das Verbot sei rechtmäßig und mit dem Grundgesetz vereinbar. Ich bin der Meinung, dass man eines Tages zu einem anderen Ergebnis kommen wird, wenn der Sachverhalt mit mehr Ruhe betrachtet und vor allem aus interdisziplinärer Sicht beurteilt werden wird.
Denn es gab und gibt vermehrt kritische Stimmen, aus verschiedenen Disziplinen kommend – von Psychologen, Seelsorgern, Ärzten. So warnte die Direktorin des Caritasverbands für das Erzbistum Berlin eindringlich vor einer kompletten Isolation von alten Menschen. Die Betroffenen auf diese Weise vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen, sei nicht zielführend, selbst wenn diese Personen eine Vorerkrankung hätten. „Wenn ältere Menschen quasi nicht mehr vor die eigene Haustür treten dürfen, kann das zu einer Altersdepression führen“, sagte sie.
Ganz aktuell hat sich auch die Bundesvertretung der Ärzte in die Debatte eingeschaltet. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert, dass Besuche im Altenheim auch während der Corona-Krise ermöglicht werden sollten. Angehörige sollten Schutzkleidung tragen.
Die Idee von Besuchen in Schutzkleidung ist wirklich keine ausgefallene, auf die man nicht schon früher hätte kommen können. Aber man greift wohl generell schneller zu Verboten, vor allem, wenn man Situationen schnell regeln will oder wenn Sachverhalte überwiegend aus einer einzigen oder der im Moment offensichtlichen Perspektive betrachtet werden.
So erschien den Entscheidungsträgern das Verbot als die adäquate Lösung zum Schutz des Körpers.
Den Schutz der Seele hat man dabei vergessen.